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{"id":4389,"date":"2023-12-24T03:39:37","date_gmt":"2023-12-24T02:39:37","guid":{"rendered":"http:\/\/somaart.de\/?p=4389"},"modified":"2024-07-15T17:19:48","modified_gmt":"2024-07-15T15:19:48","slug":"glueck-ist-liebe-nichts-anderes","status":"publish","type":"post","link":"http:\/\/somaart.de\/glueck-ist-liebe-nichts-anderes\/","title":{"rendered":"Gl\u00fcck ist Liebe, nichts anderes… H. Hesse"},"content":{"rendered":"

\u201cJe \u00e4lter ich wurde und je schaler die kleinen Befriedigungen mir schmeckten, die ich in meinem Leben fand, desto mehr wurde mir klar, wo ich die Quelle der Freuden und des Lebens suchen m\u00fcsse. Ich erfuhr, dass Geliebtwerden nichts ist, Lieben aber alles, und mehr und mehr meinte ich zu sehen, dass das, was unser Dasein wertvoll und lustvoll macht, nichts anderes ist als unser F\u00fchlen und Empfinden. Wo irgend ich etwas auf Erden sah, das man \u201cGl\u00fcck\u201d nennen konnte, da bestand es aus Empfindungen. Geld war nichts, Macht war nichts. Man sah viele, die beides hatten und elend waren. Sch\u00f6nheit war nichts, man sah sch\u00f6ne M\u00e4nner und Weiber, die bei aller Sch\u00f6nheit elend waren. Auch die Gesundheit wog nicht schwer; jeder war so gesund als er sich f\u00fchlte, mancher Kranke bl\u00fchte bis kurz vor dem Ende vor Lebenslust, und mancher Gesunde welkte angstvoll in Furcht vor Leiden hin. Gl\u00fcck aber war \u00fcberall da, wo ein Mensch starke Gef\u00fchle hatte und ihnen lebte, sie nicht vertrieb und vergewaltigte, sondern pflegte und genoss. Sch\u00f6nheit begl\u00fcckte nicht den, der sie besa\u00df, sondern den, der sie lieben und anbeten konnte.<\/span><\/span><\/strong> Es gab vielerlei Gef\u00fchle, scheinbar, aber im Grunde waren sie eins. Man kann alles Gef\u00fchl Willen nennen, oder wie immer. Ich nenne es Liebe. Gl\u00fcck ist Liebe, nicht anderes. Wer lieben kann, ist gl\u00fccklich. Jede Bewegung unserer Seele, in der sie sich selber empfindet und ihr Leben sp\u00fcrt, ist Liebe. Gl\u00fccklich ist also der, der viel zu lieben vermag. Lieben aber und Begehren ist nicht ganz dasselbe. Liebe ist weise gewordene Begierde; Liebe will nicht haben; sie will nur lieben. Darum war auch der Philosoph gl\u00fccklich, der seine Liebe zur Welt in einem Netz von Gedanken wiegte, der immer und immer neu die Welt mit seinem Liebesnetz umspann. Aber ich war kein Philosoph.<\/span><\/span><\/strong> Auf den Wegen der Moral und Tugend aber war f\u00fcr mich auch kein Gl\u00fcck zu holen. Da ich wusste, gl\u00fccklich machen kann nur die Tugend, die ich in mir selbst empfinde, in mir selbst erfinde und hege \u2013 wie konnte ich da irgendeine fremde Tugend mir aneignen wollen! Aber das sah ich: das Gebot der Liebe, einerlei ob es von Jesus oder von Goethe gelehrt wurde, dies Gebot wurde von der Welt v\u00f6llig missverstanden! Es war \u00fcberhaupt kein Gebot. Es gibt \u00fcberhaupt keine Gebote. Gebote sind Wahrheiten, wie der Erkennende sie dem Nichterkennenden mitteilt, wie der Nichterkennende sie auffasst und empfindet. Gebote sind irrt\u00fcmlich aufgefasste Wahrheiten. Der Grund aller Weisheit ist: Gl\u00fcck kommt nur durch Liebe. Sage ich nun \u201cLiebe deinen N\u00e4chsten!\u201d, so ist das schon eine verf\u00e4lschte Lehre. Es w\u00e4re vielleicht viel richtiger zu sagen: \u201cLiebe dich selbst so wie deinen N\u00e4chsten!\u201d Und es war vielleicht der Urfehler, dass man immer beim N\u00e4chsten anfangen wollte \u2026<\/span><\/span><\/strong> Jedenfalls: das Innerste in uns begehrt Gl\u00fcck, begehrt einen wohltuenden Zusammenklang mit dem, was au\u00dfer uns ist. Dieser Klang wird gest\u00f6rt, sobald unser Verh\u00e4ltnis zu irgendeinem Ding ein anderes ist als Liebe. Es gibt keine Pflicht des Liebens, es gibt nur eine Pflicht des Gl\u00fccklichseins. Dazu allein sind wir auf der Welt. Und mit aller Pflicht und aller Moral und allen Geboten macht man einander selten gl\u00fccklich, weil man sich selbst damit nicht gl\u00fccklich macht. Wenn der Mensch \u201cgut\u201d sein kann, so kann er es nur, wenn er gl\u00fccklich ist, wenn er Harmonie in sich hat. Also wenn er liebt.<\/span><\/span><\/strong> Und das Ungl\u00fcck in der Welt, und das Ungl\u00fcck bei mir selber kam also daher, da\u00df das Lieben gest\u00f6rt war. Von hier aus wurden mir die Spr\u00fcche aus dem Neuen Testament pl\u00f6tzlich wahr und tief. \u201cSo ihr nicht werdet wie die Kinder\u201d \u2013 oder \u201cDas Himmelreich ist inwendig in euch\u201d.<\/span><\/span><\/strong> Dies war die Lehre, die einzige Lehre der Welt. Dies sagte Jesus, dies sagte Buddha, dies sagte Hegel, jeder in seiner Theologie. F\u00fcr jeden ist das einzig Wichtige auf der Welt sein eigenes Innerstes \u2013 seine Seele \u2013 seine Liebesf\u00e4higkeit. Ist die in Ordnung, so mag man Hirse oder Kuchen essen, Lumpen oder Juwelen tragen, dann klang die Welt mit der Seele rein zusammen, war gut, war in Ordnung.<\/span><\/span><\/strong> \u2026 Nichts vermag der Mensch so zu lieben wie sich selbst. Nichts vermag der Mensch so zu f\u00fcrchten wie sich selbst. So entstand zugleich mit den anderen Mythologien, Geboten und Religionen des primitiven Menschen auch jenes seltsame \u00dcbertragungs- und Scheinsystem, nach welchem die Liebe des Einzelnen zu sich selber, auf welcher das Leben ruht, dem Menschen f\u00fcr verboten galt und verheimlicht, verborgen, maskiert werden musste. Einen anderen zu lieben galt f\u00fcr besser, sittlicher, f\u00fcr edler, als sich selbst zu lieben. Und da die Eigenliebe nun doch einmal der Urtrieb war und die N\u00e4chstenliebe neben ihr nicht recht gedeihen konnte, erfand man sich eine maskierte, erh\u00f6hte, stilisierte Selbstliebe, in Form einer Art von N\u00e4chstenliebe auf Gegenseitigkeit. \u2026 So wurde die Familie, der Stamm, das Dorf, die Religionsgemeinschaft, das Volk, die Nation zum Heiligtum \u2026 Der Mensch, der sich selber zuliebe nicht das kleinste Sittengebot \u00fcbertreten darf \u2013 f\u00fcr die Gemeinschaft, f\u00fcr Volk und Vaterland darf er alles tun , auch das Furchtbarste, und jeder sonst verp\u00f6nte Trieb wird hier zu Pflicht und Heldentum. So weit war die Menschheit bis jetzt. Vielleicht w\u00fcrden auch die G\u00f6tzenbilder der Nationen mit der Zeit noch fallen, und in der neu entdeckten Liebe zur ganzen Menschheit k\u00e4me vielleicht die alte Urlehre wieder neu zum Durchbruch.<\/span><\/span><\/strong> Solche Erkenntnisse kommen langsam, man windet sich zu ihnen in Spiralen hinan. Und wenn sie da sind, so ist es, als habe man sie im Sprung, im Nu erreicht. Aber Erkenntnisse sind noch nicht Leben. Sie sind der Weg dazu, und mancher bleibt ewig auf dem Weg.\u201d<\/span><\/span><\/strong><\/p>\n

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